Warum entfernen wir eigentlich die Preisschilder bei Geschenken?

Geld kann das Verhalten von Menschen signifikant beeinflussen, indem es soziale Normen durch Marktnormen ersetzt.

Geld hat etwas Magisches an sich.

Sobald es um Geld geht, verhalten wir uns anders.

„Beim Geld hört die Freundschaft auf“, lautet ein bekanntes Sprichwort.

Doch warum ist das so?

Diese Frage beschäftigt mich schon seit längerem.

Und angefangen hat es bereits während meiner Schulzeit.

Ich war damals ein chronischer Zuspätkommer, insbesondere nach der Mittagspause (meine Schulkameraden von damals können es bezeugen).

Mein Klassenvorstand hat sich oft über mein Zuspätkommen beschwert, sodass ich eines Tages mit folgender Idee kam:

Für jede Minute, die ich zu spät komme, muss ich 5 Cent in die Klassenkassa zahlen. Aus meiner Sicht war dies ein fairer Deal und auch der Klassenvorstand stimmte zu.

Was denken Sie, was nach Abschluss dieses Deals passierte?

Ich kam noch viel öfter zu spät.

Schließlich konnte ich für jede Minute Zuspätkommen einfach bezahlen. Und so konnte ich meine Schuld begleichen und dank des niedrigen Betrags noch frech dabei grinsen, was bei den LehrerInnen gar nicht gut ankam und am Ende zu einer schlechteren Verhaltensnote führte (kein Scherz).

Der Deal wurde also wieder aufgehoben.

Ein paar Jahre später habe ich noch einmal darüber nachgedacht, was in dieser Situation passiert ist:

Eine soziale Norm („Du sollst nicht zu spät kommen“) wurde durch eine Marktnorm ersetzt („Wenn du zu spät kommst, musst du bezahlen“). Ich konnte mir selbst aussuchen, wie viel ich zu spät kommen wollte und musste nur dafür bezahlen, ohne weitere Konsequenzen zu befürchten oder mich schuldig zu fühlen.

Doch was ist eigentlich der Unterschied zwischen sozialen Normen und Marktnormen?

Soziale Normen spielen in unseren zwischenmenschlichen Beziehungen eine wichtige Rolle. Sie sind ungeschriebene Gesetze, an denen wir uns (unterbewusst) orientieren.

Beispielsweise tun wir unseren Nachbarn gerne einen Gefallen und verlangen kein Geld, wenn wir ihnen dabei helfen, ein neues Sofa ins Haus zu tragen. Gleichzeitig werden die Nachbarn den Gefallen erwidern wollen und später etwas zu essen oder zu trinken vorbeibringen.

Und genau die gleichen sozialen Gesetze galten auch während meiner Schulzeit, als sich meine LehrerInnen erwarteten, dass ich pünktlich kam und den Unterricht nicht störte.

Bei Marktnormen hingegen herrschen die Gesetze von Angebot und Nachfrage sowie die Bepreisung von Produkten und Leistungen.

Wie viel eine Leistung oder ein Produkt wert ist, bewerten wir mit Zahlen und Preisen. Wenn wir zu wenig für unsere Leistung bekommen, regen wir uns auf.

Und wenn wir etwas kaufen wollen, versuchen wir, so viel wie möglich rauszuholen und den Preis zu drücken.

Was haben soziale Normen und Marktnormen mit Geld zu tun?

Geld kommt bei Marktnormen eine besondere Rolle zu, denn Geld kann Marktnormen aktivieren.

Deswegen entfernen wir die Preisschilder bei Geschenken.

Wir wollen den Wert eines Geschenks und dadurch indirekt auch den Wert einer Beziehung nicht durch Geld und Preise ausdrücken.

Und wir wollen auch nicht, dass der Wert von Geschenken miteinander verglichen wird. Denn wir wollen ebenso wenig die gegenseitige Wertschätzung vergleichen.

Der Wert-Schätzung soll eine sehr grobe Schätzung bleiben und nicht durch konkrete Zahlen ausgedrückt werden.

Wenn Sie von Ihren Schwiegereltern zum Abendessen eingeladen werden, werden Sie am Ende deswegen auch nicht sagen: „Vielen Dank, und wie viel bekommt ihr nun von mir? Sind 23 Euro in Ordnung?“.

Bringen Sie allerdings einen guten Wein als „Gegenleistung“ mit und bleiben dadurch im Bereich der sozialen Normen, werden Ihre Schwiegereltern Sie ebenso wenig fragen, ob der Wein 10 Euro oder 100 Euro gekostet hat.

Doch was bedeuten diese Erkenntnisse für unsere privaten und beruflichen Beziehungen?

Im privaten Bereich sollten wir vorsichtig sein, wenn wir soziale Normen nicht durch Marktnormen verdrängen wollen.

So sollten Sie beispielsweise gut darüber nachdenken, ob Sie Ihren Kindern eine finanzielle Belohnung im Gegenzug für gute Schulnoten geben wollen.

Denn infolgedessen können Ihre Kinder selbst entscheiden, ob sie lieber das Geld oder eine schlechte Note nehmen, ohne dass Sie Ihren Kindern anschließend eine Moralpredigt halten können.

Selbstverständlich spielt die Höhe der finanziellen Belohnung oder Strafe eine Rolle.

Ist eine Belohnung oder eine Strafe besonders hoch, funktioniert sie gut. Man stelle sich vor, ich hätte pro Minute „Zuspätkommen“ 50 Euro anstatt 5 Cent bezahlt. Ich wäre bestimmt keine Minute zu spät gekommen.

Und wenn Sie Ihren Kindern für ein „Sehr gut“ 100 Euro bezahlen, wird das Zeugnis zum Jahresende bestimmt mit vielen „Sehr gut“ geschmückt sein.

Doch bei hohen Belohnungen und Strafen gibt es 3 Probleme:

  1. Hohe Belohnungen belasten langfristig massiv das Budget. Denken Sie nur an die vielen Schularbeiten von der 1. bis zur 12. Klasse!
  2. Hohe Strafen können schnell unverhältnismäßig und schwer durchsetzbar werden. Stellen Sie sich vor, wie sich meine Eltern aufgeregt hätten, wenn mein Klassenvorstand 50 Euro pro Minute von mir verlangt hätte.
  3. Der wahrscheinlich wichtigste Punkt: wurde eine Belohnung oder eine Strafe eingeführt, schädigt dies langfristig die Wirksamkeit einer sozialen Norm. Bekommen Ihre Kinder für gute Noten auf einmal keine finanzielle Belohnung mehr, wird die Motivation in den Keller rasseln und nur schwer wiederherzustellen sein (die Eltern unter Ihnen wollen es sich bestimmt nicht mal vorstellen).

Und was bedeuten diese Erkenntnisse im beruflichen Kontext?

Hier gibt es ein interessantes Thema, das meiner Meinung nach (zu) wenig Aufmerksamkeit bekommt:

Viele Unternehmen kommunizieren nach außen, dass sie für ihre Kunden ein Partner sein wollen. Diese Unternehmen wollen also im Bereich der sozialen Normen agieren.

Aus Marketingsicht und für die langfristige Kundenbindung ist dieser Ansatz durchaus nachvollziehbar.

Allerdings muss berücksichtigt werden, dass ein Unternehmen dadurch auch Verpflichtungen eingeht. Sollte der Kunde mal Extrawünsche oder ein Problem haben, erwartet er oder sie sich, dass ein Unternehmen zur Hilfe kommt und keine hohen Gebühren oder Preise dafür verlangt.

Werden diese Prinzipen der sozialen Normen verletzt, wird der Kunde zu den Marktnormen übergehen und ohne schlechtes Gewissen zu einem billigeren Anbieter wechseln.

Andererseits wird es für Unternehmen, die nicht auf eine partnerschaftliche Beziehung, sondern von Beginn an auf eine transaktionale Beziehung setzen, leichter sein, für zusätzliche Leistungen auch einen zusätzlichen Preis zu verlangen.

Und wenn von Anfang an klar und transparent ist, für welche Leistung wie viel verrechnet wird, wird es am Ende weniger unerwartete Überraschungen geben.

Allerdings kann man sich gleichzeitig nicht erwarten, dass einem der andere aus der Patsche hilft, sobald etwas nicht so läuft, wie man es sich vorgestellt hatte.

Ich möchte an dieser Stelle nicht sagen, dass eine partnerschaftliche oder eine transaktionale Beziehung besser ist. Beide Beziehungen haben ihre Vor- und Nachteile.

Ich möchte jedoch darauf hinweisen, dass ein Unternehmen an die möglichen Konsequenzen denken sollte, bevor es den einen oder den anderen Weg einschlägt.

Egal ob im beruflichen Kontext oder in zwischenmenschlichen Beziehungen: Beim Geld kann die Freundschaft also tatsächlich aufhören.

Wir sollten uns daher gut überlegen, bei welchen Beziehungen wir auf jeden Euro schauen und bei welchen wir großzügiger mit Geben und Nehmen umgehen. Sei es bei Kunden, den eigenen Mitarbeitenden oder bei Menschen, die uns nahestehen.

In diesem Zusammenhang finde ich ein anderes Sprichwort schön, mit dem ich gerne abschließen möchte:

„Freunde sind Menschen, die sich gegenseitig so viel schulden, dass sie den Überblick verloren haben.“ (Tomáš Sedláček)

Quellen:

Ariely, D., & Jones, S. (2008). Predictably irrational. New York, NY: Harper Audio.

Foto: Daria Shevtsova bei Pexels

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